Der Stall
Er hatte schon lange keinen Besuch mehr bekommen. Wann wohl das letzte Mal jemand bei ihm eingekehrt und seine Dienste in Anspruch genommen hatte? Aus der Futterkrippe gespeist und sich anschließend ins duftende Heu gekuschelt… Es musste Monate, ja Jahre zurückliegen. In letzter Zeit hatte man ihn allzu oft links liegen gelassen. Und das nur, weil er etwas außerhalb der Stadt lag. Und ein wenig zugig war. Heutzutage verlangte man mehr Komfort.
Er fühlte sich einsam. Daran konnten auch der Ochse und der Esel nichts ändern, die ab und zu vorbeikamen, kurz Hallo sagten und es dann stets überaus eilig hatten, sich wieder zu verabschieden. Irgendeinen Vorwand fanden sie immer.
Da wachte er eines morgens auf und hatte so ein Gefühl. Irgendwas war anders. Er begutachtete sich im Spiegel, wie man es morgens halt so macht, und wirklich: Auf die rechte Außenwand hatte jemand über Nacht, er hatte nichts davon mitbekommen, einen Spruch geschrieben. In großen weißen Lettern stand da:
Freuet euch in dem Herrn allewege,
und abermals sage ich: Freuet euch!
Der Herr ist nahe! (Philipper 4,4.5b)
Allzu große Freude kam spontan nicht bei ihm auf, den Herrn kannte er bislang nur vom Hörensagen. Aber vorsichtshalber machte er sich ein wenig zurecht: füllte frisches Wasser in die Tränke und ordentlich Stroh in die Krippe. In die Schlafecke kam neues Heu.
Er rechnete zwar nicht ernsthaft damit, aber vielleicht, ganz vielleicht wollte der Herr ja auch bei ihm vorbeischauen. Immerhin war er schon nahe.
Jan Oliva