In unserer Familie wird der Krippenkarton schon am 1. Advent ausgepackt. Der Stall mit der Futterkrippe steht von Anfang an im Wohnzimmer. Maria und Josef haben noch einen beschwerlichen Weg vor sich. Sie nähern sich der Krippe an jedem Tag im Advent, Schritt für Schritt, auch in unserer Wohnung. Die Weisen aus dem Morgenland mit ihren Kamelen kommen von so weit her, dass sie vorerst noch gar nicht zu sehen sind. Die Engel bereiten sich oben unter dem Dach auf ihren weihnachtlichen Gesang vor. Die Hirten mit den Schafen halten sich schon jetzt in einem Nebenraum auf, wie ja auch die Herden auf den Feldern um Betlehem schon vor Jesu Geburt dort geweidet haben. Von den Menschen und Tieren, die sich am Heiligabend vor der Krippe versammeln werden, sind bei uns nur Ochs und Esel schon jetzt da. Warum? Warum ausgerechnet ein Ochse, der nicht einmal Milch gibt und nur noch als Arbeitstier zu gebrauchen ist? Der gerade mal einen Pflug ziehen kann, trotzdem bis heute als dummes Tier verachtet wird? Und warum ein Esel? Auch der hat im Unterschied zum eleganten, schnellen Pferd keinen guten Ruf, ist allenfalls als Lastentier zu gebrauchen und gilt als störrisch. Klar, der Stall ist das Zuhause von Ochs und Esel. Da finden sie Futter, da sind sie geschützt, da ist es warm; und so kehren sie nach der Arbeit Abend für Abend dorthin zurück.
Doch unsere bibelkundigen Vorfahren hatten noch einen besonderen Grund, ausgerechnet Ochs und Esel an der Weihnachtskrippe auszustellen. Sie hatten noch die Worte des Propheten Jesaja im Ohr, der schon Jahrhunderte vor Christus die Ankunft des Messias geweissagt hatte. Bis heute hören wir jedes Jahr in der festlich geschmückten Kirche Jesajas Worte von der Ankunft des Kindes aus dem Stamme Davids, von dem Frieden, den dieses Kind aller Welt bringen und von dem Licht, das durch ihn in der Finsternis leuchten wird (Jesaja 9 und 11). Im Buch Jesaja lesen wir gleich am Anfang die Klage des Propheten über die Torheit, nicht auf Gottes Wort zu hören, und den Unwillen, Gottes Weisung zu folgen. Da heißt es: ein Ochse kennt seinen Herrn … und ein Esel die Krippe des Herrn, … aber mein Volk versteht´s nicht.“ (Jes 1,3) So wurden Ochs und Esel damals zu Vorbildern für das Volk Israel. Ähnlich könnten die beiden auch für uns heute beispielhaft werden, wenn wir bei aller Bildung und Aufklärung das Wichtigste im Leben nicht mehr wahrnehmen; wenn wir trotz moderner Technik die Orientierung verlieren und gar nicht mehr wissen, wo wir das finden können, was zum Leben (und auch zum seligen Sterben) mehr als notwendig ist: die Treue Gottes, auf die wir uns verlassen und der wir vertrauen können, komme, was da will.
Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien in der bevorstehenden Advents- und Weihnachtszeit solche Perspektiven auf das Zentrum, auf das Wichtigste in Ihrem eigenen Leben und im Leben der Menschen, die Ihnen am Herzen liegen.
Ihr „Gastpastor" Rainer Dinger